Eine weiche Grenze für den Sudan
Eine weiche Grenze für den Sudan
A Vicious Cycle: Climate and Conflict in the Horn of Africa
A Vicious Cycle: Climate and Conflict in the Horn of Africa
Op-Ed / Africa 3 minutes

Eine weiche Grenze für den Sudan

Wenn die Grenzregion zwischen Sudan und Südsudan befriedet werden soll, muss sie durchlässig werden.

Der Marsch ist beschwerlich und ihr Weg gefährlich, hier im Grenzgebiet zwischen Sudan und Südsudan. Männer in weiten Jalabiyas und Frauen in bunten Kleidern bewegen sich mühsam vorwärts. Sie haben sich ihre Kinder in Körben auf den Rücken gebunden und schleppen Wasserkanister, von denen die meisten bereits leer sind. Einige sind bewaffnet. Man sieht Männer, die sich neben einem Schwert aus dem 19. Jahrhundert einen Granatwerfer über die Schulter gehängt haben. Die Soldaten, die mit ihnen ziehen, gehören zu den Rebellen und sollen sie vor den Milizen der Regierung schützen. 

Sie sind bereits seit vier Tagen unterwegs, seit Regierungstruppen ihre Dörfer in den Hügeln von Ingessana umstellten. Ihr Ziel ist der Grenzpunkt al-Fuj, der ihre kriegszerrüttete Heimat am Blauen Nil von der noch jungen Nation Südsudan trennt. Ab und an nähert sich ein Auto der Rebellen, sammelt diejenigen auf, die vor Schwäche zurückgeblieben sind und bringt sie zum nächsten Ort, an dem sie ausruhen können. Aber die Schwächsten – die Alten, die Blinden und die schwer Kranken – werden zurückgelassen. 

Seit Wiederbeginn der kriegerischen Auseinandersetzungen Mitte 2011 haben fast 200 000 Sudaner einen solchen Marsch über die neue, 2000 Kilometer lange Grenze auf sich genommen, in der Hoffnung, die Flüchtlingslager im Südsudan zu erreichen. Vielen ist der Gedanke, dass sie dabei eine neue Landesgrenze überqueren, noch immer fremd. 

Die Grenzziehung, die dem Friedensvertrag von 2005 zufolge auf den Provinzgrenzen von 1956 basieren soll, wirkt willkürlich. Wer diesen Landstrich entlangreist, trifft vor allem auf Menschen mit existenziellen Ängsten. Sei es, weil sie einer Minderheit angehören, die befürchtet, im kleiner gewordenen Sudan mehr denn je ausgegrenzt zu werden, sei es, weil sie Nomaden sind, die befürchten, ihr Weiderecht im heutigen Südsudan zu verlieren. 

In seiner verlassenen Kirche in Chali stehend erklärt mir ein Priester vom Stamm der Uduk die Sorgen seines Volkes. Die sudanesische Elite will eine arabisch-muslimische Ausrichtung des Sudan. Wird für die Uduk als christliche Minderheit in diesem Land noch Platz sein? Mit Blick auf die Abspaltung des Südsudan hat der sudanesische Präsident Omar al-Bashir erklärt, der Islam werde nun die offizielle Religion des Sudan sein und Arabisch die offizielle Sprache. Das sorgte nicht nur unter den Christen des Landes für Unruhe, sondern auch unter den Millionen nicht-arabischer Muslime, von denen viele in der Grenzregion leben. 

Die neue Grenze müsse zu einer weichen Grenze werden, hatten die Unterhändler der Afrikanischen Union gefordert. Das bedeutet, dass sich die Völker auf beiden Seiten frei bewegen und Handel treiben dürfen, dass sie selbst entscheiden, auf welcher Seite sie sich niederlassen oder ihr Vieh auf die Weide treiben. Und dass sie das Recht haben, die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen. Wenn all dies realisiert werden soll, müssen beide Länder weit mehr geben als in der Vergangenheit. Erreicht haben sie bisher nur eines: ein Hin und Her zwischen Krieg und Frieden. 

Beide Regierungen sind schwach und fürchten ein Anwachsen der Rebellengruppen in der Grenzregion. Ein Schauplatz ihres Kräftemessens ist die sogenannte Mile-14, ein Gebiet mit viel Weideland, in dem sich vor allem Hirten vom südsudanesischen Stamm der Dinka und arabische Nomaden aus dem Norden aufhalten. Hier gibt es einen Fluss, den die Dinka Kiir nennen und die Araber „Fluss der Araber“. An einer strategischen Brücke über diesen Fluss stationierte die südsudanesische Regierung Ende 2010 Soldaten. Als die örtlichen Araber daraufhin den Sudan aufriefen, dieser „Invasion“ entgegenzutreten, erhielten sie die Antwort: „Bewaffnet eure Reiter!“ Das bedeutet: „Zieht in den Krieg!“ 

Nachdem es eine Zeit lang verstärkt zu gewaltsamen Zwischenfällen an der Grenze kam, einigten sich beide Seiten vor einem Jahr auf eine Entmilitarisierung der Zone. Im März dieses Jahres begann die südsudanesische Armee schließlich tatsächlich, die Mile-14 zu räumen. Schon zwei Wochen später war sie zurück. Beide Seiten wissen, dass dieses Gebiet niemals entmilitarisiert wird. Die sudanesischen Rebellen sind hier zu Hause, sie beanspruchen die Kontrolle über 40 Prozent der unsichtbaren Grenze. Jede Diskussion über den Grenzverlauf empfinden sie als schmerzlich. Sudanesen aller Seiten verübeln dem Süden seine Abspaltung. Sie sind nicht bereit, einen weiteren Teil ihres Landes aufzugeben. 

Auch Abyei ist ein solches umstrittenes Gebiet zwischen dem Norden und dem Süden. In einem Gespräch mit arabischen Misirya-Rebellen erzählen sie mir, dass sie es gerne sähen, wenn Abyei zu einem „Ort des friedlichen Zusammenlebens würde, zu einem Vorbild für den ganzen Sudan“. 

In der Tat: Warum sollte nicht auch ein aus dem Süden stammender Dinka sudanesischer Bürger sein können? Wenn die Grenzregion befriedet werden soll, dann muss sie zu einer weichen Grenze werden. Und zwar nicht nur für bewaffnete Gruppen, sondern für alle Bewohner der Gegend. 

In der vom Krieg zermürbten sudanesischen Nil-Region drückte es Uweisa Madi Zima, der Vorsteher eines Dorfes, so aus: „Wir sind nicht gebildet und wir verstehen nicht viel von Politik. Aber die Regierung, die uns gut behandelt, wird unser Vater sein. Sei es im Norden oder im Süden.“

This article was translated into German by Nadja Leoni Nolting

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