Afghanistan: Verschiebt die Wahlen!
Afghanistan: Verschiebt die Wahlen!
The Taliban’s Neighbourhood and Regional Diplomacy with Afghanistan (Online Event, 5 March 2024)
The Taliban’s Neighbourhood and Regional Diplomacy with Afghanistan (Online Event, 5 March 2024)
Op-Ed / Asia 3 minutes

Afghanistan: Verschiebt die Wahlen!

In wenigen Wochen sollen die Afghanen über die Zukunft ihres Landes entscheiden. Bereits jetzt sind mehr als 2500 Afghanen im Land unterwegs, um im Wahlkampf um Stimmen zu werben. Am 18. September wählen die Afghanen die 249 Abgeordneten des Parlaments. Die Kandidaten verbringen mehrere Wochen auf einigen der gefährlichsten Straßen der Welt. Viele der Wahlkämpfer gehen ein hohes Risiko ein – vor allem die Frauen. Einige Politiker werden Opfer von Gewaltverbrechen, möglicherweise sogar ermordet werden.

Fast alle Kandidaten werden sich nach der Wahl fragen, ob sich das Risiko gelohnt hat. Die Antwort lautet schlicht: Nein.

Das belegen die Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr, als die Präsidentschafts- und Provinzratswahlen von massivem Wahlbetrug und beispielloser Gewalt begleitet wurden. Nun, so scheint es, wird die internationale Gemeinschaft erneut versäumen, die Fehler des afghanischen Wahlsystems zu korrigieren. Das gleicht einem Todesstoß gegen die fragilen afghanischen Institutionen und vermindert jegliche Möglichkeit des politischen Fortschritts.

Obwohl sich die Sicherheitssituation auf einem historischen Tiefpunkt befindet, wird am Termin der Parlamentswahl festgehalten. Dabei ist es endlich an der Zeit zuzugeben, dass angesichts des unfairen Wahlsystems und der mangelnden Transparenz eine Verschiebung der Parlamentswahl die beste Lösung wäre.

Die afghanischen Wähler haben den Morddrohungen der vergangenen Präsidentschaftswahl getrotzt. Doch seither hat sich die Sicherheitssituation im Land erheblich verschlechtert. Gleichzeitig ist die Regierungsarbeit wegen eines erbitterten Machtkampfs zwischen Präsident und Parlament zum Stillstand gekommen. Und obwohl die Wahl-Beschwerdekommission EEC im vergangenen Herbst mehr als eine Million Stimmen für Karsai wegen des massiven Wahlbetrugs für ungültig erklärte, wurden bisher kaum Reformen durchgeführt. So blieb die Wählerregistrierung fehlerhaft und viele der Beamten, die den Betrug bei der vergangenen Wahl unterstützten, sind weiterhin im Amt. Dennoch gab die internationale Gemeinschaft ihr Vetorecht bei der Beschwerdekommission auf. Dadurch haben jetzt wenige von Karsai ausgewählte Beamte die Möglichkeit, das endgültige Wahlresultat zu beeinflussen.

Beunruhigend ist zudem, dass das Zulassungsverfahren, um Kriminelle von den Wahlurnen fernzuhalten, unter dem Druck der afghanischen Machthaber zusammengebrochen ist. Hochrangige Afghanen hatten ursprünglich Beschwerden gegen mehr als 300 nominierte Kandidaten eingereicht, die unter dem Verdacht standen, in illegalen bewaffneten Gruppen mitzuwirken oder sie zu unterstützen. Die Liste der von den Wahlen ausgeschlossen Kandidaten wurde letztendlich jedoch von der zur Regierung Karsai gehörende Zulassungskommission auf 13 Personen heruntergekürzt. Die EEC bezeichnete dieses Vorgehen daraufhin als "fragwürdig". Nach langem Hin und Her wurden schließlich 31 Kandidaten aufgrund ihrer Verbindungen zu bewaffneten Gruppen von der Wahl ausgeschlossen. Viele Kriegsherren können also weiterhin ungehindert kandidieren. Was fehlt ist ein entschiedenes Eingreifen durch die internationale Gemeinschaft. Denn momentan haben die Kandidaten, die nicht vor Bestechung oder Einschüchterung der Konkurrenten zurückschrecken, die beste Chance.

Alles in allem scheint sich die internationale Gemeinschaft selbst zum Scheitern zu verurteilen. Im Frühling brachte Karsai die Wahlkommission EEC per Dekret um fast alle ihre Befugnisse. Er wollte sich selbst dazu ermächtigen, die Mitglieder selbst ernennen zu können. Von den Diplomaten in Kabul kam nur wenig Protest. Glücklicherweise widersetzte sich das afghanische Parlament dem Präsidenten. Aber die Bereitschaft anderer Staaten, eine Wiederholung des Wahlbetrugs und der begangenen Fehler zu tolerieren, lässt ein unheimliches Déjà-vu-Gefühl aufkommen.

Sollte die Wahlkommission es jetzt nicht schaffen, der Öffentlichkeit einen Plan vorzulegen, der zur Verhinderung von Betrug sowie zur Anerkennung von Beschwerden dient, wird die Wahl im September in einer Katastrophe enden.

Die Entscheidung der EEC, 900 Wahllokale – vorwiegend im Süden und Osten des Landes – zu schließen, hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Sie ist einerseits ein ermutigendes Zeichen dafür, dass afghanische Beamte, sowie auch die Koalitionspartner, die Sicherheit der Wahlen dieses Mal viel ernster nehmen. Aber die Entscheidung ist auch ein Warnsignal: Sollten wegen der schlechten Sicherheitslage noch mehr Wahllokale in letzter Minute geschlossen werden, könnte dies zu einem massiven Wahlrechtsentzug führen. In den vorwiegend von Taliban kontrollierten Gebieten wie Kandahar und Helmand – zwei strategisch entscheidende Provinzen – würde die Schließung von Wahllokalen bedeuten, dass Tausende von Afghanen ihre lokalen Parlamentsmitglieder nicht wählen könnten. Das ist besorgniserregend, zumal die USA und die Nato besonderen Wert auf die Stärkung der lokalen Regierungen auf Provinzebene legen. Diese können immer noch am besten auf die Bedürfnisse der afghanischen Bevölkerung reagieren.

Viele Afghanen stehen demokratischen Prozessen mittlerweile sehr skeptisch gegenüber. Umfragen sowie Nachforschungen der International Crisis Group haben jedoch gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung es immer noch vorzieht, mitentscheiden zu können von wem sie wie regiert wird. Auch wenn dies nur in einem beschränkten Ausmaß möglich ist, halten die Afghanen es für immer noch besser, als gar nicht mitbestimmen zu können. Sie sind sich auch dessen bewusst, dass Parlamentsmitglieder für die Vertretung ihrer täglichen Interessen weitaus wichtiger sind als der Präsident oder die politisch machtlosen Provinzräte.

Wenn die internationale Gemeinschaft nicht sicherstellen kann, dass die Wahlen frei und fair ablaufen, dann müssen  diese verschoben werden, und zwar bis die nötigen Reformen in Gang kommen. Andernfalls verhilft man den Aufständischen erneut zu einem leichten Erfolg.
 

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