Regeln gelten auch für Belgrad
Regeln gelten auch für Belgrad
Op-Ed / Europe & Central Asia 3 minutes

Regeln gelten auch für Belgrad

Irgendwo in Serbien läuft der Verantwortliche des entsetzlichen Srebrenica-Massakers von 1995, Ratko Mladic, frei herum, genießt den stillschweigenden und verdeckten Schutz des Staates. Irgendwo in Europa, wahrscheinlich Brüssel, sind EU-Diplomaten und Politiker dabei, ihm seine Freiheit zu verlängern.

Nächste Woche wird die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Carla del Ponte, den EU-Außenministern Bericht erstatten über Serbiens Kooperationsbereitschaft bei der Übergabe von Kriegsverbrechern an Den Haag. Ihr Bericht wird die gegenwärtige und zukünftige EU-Politik in den Balkanstaaten entscheidend beeinflussen. Erst am 3. Oktober merkte Del Ponte an, dass Belgrad nicht ausreichend kooperiere, aber hinter den Kulissen macht Brüssel Druck auf die Anklägerin, Belgrad gegenüber nachsichtiger zu sein, damit die EU ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien schließen kann, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Mitgliedschaftsverhandlungen.

Schlechtes Beispiel für andere

Einige argumentieren sogar, dass Serbien schon Anfang nächsten Jahres Kandidatenstatus erhalten solle, obgleich sich das Land klar über eine der Hauptvoraussetzungen der EU für das Unterzeichnen eines Stabilitätsabkommens hingewegsetzt: die Verhaftung von Kriegsverbrechern, und insbesondere von Ratko Mladic.

Warum ist Brüssel also in solcher Eile, die Bedingungen für Serbien so bereitwillig zu erleichtern? Die Antwort lautet Kosovo.

Es besteht eine tiefe Kluft in der EU bezüglich der Unabhängigkeit des Kosovo. Es ist zu erwarten, dass Pristina Anfang 2008 auch ohne Resolution des UN-Sicherheitsrates seine Unabhängigkeit von Serbien erklären wird. Einige EU-Mitgliedstaaten wie Griechenland, Zypern, Slowakei und Rumänien, sind dagegen, ein unabhängiges Kosovo ohne Sicherheitratsresolution anzuerkennen, und werden der EU nur widerstrebend ermöglichen, die zivile Aufsichtskommission einzurichten, die die gegenwärtige UN-Mission ersetzen soll. Andere Mitgliedstaaten hingegen würden eine formelle Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zwar bevorzugen, wären aber auch bereit, die Unabhängigkeit des Kosovo ohne eine solche anzuerkennen. In dem Fall müsste man Serbien aber in irgendeiner Form entschädigen, zum Beispiel, indem man den Weg zur EU-Mitgliedschaft verkürzt.

Eine solche Verknüpfung der zwei Probleme ist jedoch tragisch irreführend.

Um Belgrad im Aufnahmeprozess voranzutreiben, müsste die EU die Grundregeln und Bedingungen, welche die anderen Balkanstaaten zu erfüllen hatten,speziell für Serbien außer Kraft setzen. Dies hätte klare negative Folgen für die Region. Bosnien, Kroatien, Mazedonien und Montenegro haben bedeutende Opfer gebracht auf dem Weg zur europäischen Integration. Unter großen Kosten hat Bosnien alle EU-Stabilisierungskriterien erfüllt, mit Einschränkungen einzig im Bereich der Polizeireform, wo inzwischen auch Fortschritte gemacht werden. Kroatien musste alle seine Kriegsverbrecher verhaften, und hat dabei gleich seine Nachrichtendienste und die Justizgewalt aufgerüttelt.

Nationalisten werden bestätigt

Mazedonien nahm zahlreiche schmerzhafte Reformen auf sich und unterwarf sich selbst der Gerichtsbarkeit des Haager Tribunals. Auch Montenegro hat einen rigorosen internen Reformprozess begonnen, trotz massiver Opposition im Land, und hat mit Den Haag rückhaltlos zusammengearbeitet.

Belgrad hingegen hält noch immer seine schützende Hand über Ratko Mladic, und wahrscheinlich auch über Radovan Karadzic, den politischen Führer der bosnischen Serben. Jahrelang war es ein offenes Geheimnis innerhalb Serbiens politischer Elite, dass Mladic den Schutz der Regierung genoss und daher unangreifbar war. Daran hat sich nichts geändert.

Wenn die EU für Serbien die Regeln ändert, wird sie damit nicht nur dem Rest der Balkanländer signalisieren, dass Richtlinien und Bedingungen keine Bedeutung haben, sondern auch jeglichen ihr verbleibenden Einfluss auf Belgrad aufgeben. Ein solches Vorgehen wird bosnische Politiker ermuntern, Polizeireformen zu verhindern, und kroatische Politiker dazu, die Rückkehr und Reintegration von Flüchtlingen zu verzögern. Es wird Mazedonien und Montenegro zeigen, dass sie den Aufnahmeprozess aufweichen können. Und dem Kosovo wird es signalisieren, dass es die Bedingungen für seine schrittweise und von der internationalen Gemeinschaft überwachte Unabhängigkeit, wie sie der von den UN gesponserte Plan vorsieht, nicht ernst zu nehmen braucht. Es wird außerdem Bosnien, Kroatien, Mazedonien und Montenegro verärgern, die sehen, dass das serbische Fehlverhalten immer wieder von Brüssel belohnt wird, und dass offensichtlich unterschiedliche Maßstäbe gelten.

Das Überbordwerfen europäischer Grundsätze wird keineswegs das gewünschte Resultat erzielen. Es wird Belgrads Politik weder in Bezug auf das Haager Tribunal noch in Bezug auf das Kosovo ändern. Eher werden die serbischen Nationalisten sich in ihrer Politik bestätigt sehen, während die demokratischen Kräfte im Land ihre Kooperationsbereitschaft mit der EU mit einem Imageverlust bezahlen und als Weichlinge verunglimpft werden.

Serbien kann sich nicht auf Europa zubewegen, solange es noch Mladic und Karadzic als Klötze am Bein trägt. Trotz bester europäischer Absichten kann sich Serbien nur selbst dieser Fesseln entledigen. Die Ansage der EU an Serbien sollte klar sein: ohne Mladic kein Stabilisierungsabkommen.

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