Kirgistan: Wenn Regime plötzlich zerfallen
Kirgistan: Wenn Regime plötzlich zerfallen
Opportunities and Challenges Await Kyrgyzstan’s Incoming President
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Op-Ed / Europe & Central Asia 3 minutes

Kirgistan: Wenn Regime plötzlich zerfallen

In Kirgistan hat das Volk die Geduld mit seinen korrupten Autokraten verloren. Den USA sollte es eine Lehre sein.

Bischkek, Kirgistan: Seit Jahren scheint das kirgisische Volk eine nur schwer zu erreichende Schmerzgrenze zu haben. Während der härtesten Winter fror es klaglos, trotz der Gerüchte, dass die herrschende Familie den Strom an die Nachbarländer verkaufte. Und auch die Wahlen wurden manipuliert, aber die Kirgisen scherzten darüber. Sie bräuchten nicht zu wählen, sagten sie, denn "der Staat übernimmt das für uns."

Die lang ersehnte und von vielen erhoffte Intervention von außen – in Gestalt eines befreienden Reinstürmens der großen Brüder in Moskau oder Washington, die die Gerechtigkeit wiederherstellen würden – kam nie zustande. Im Gegenteil. Der Kreml gratulierte Präsident Kurmanbek Bakijew zu seinen betrügerischen Wahlen und die Amerikaner schienen sich lediglich für den Stützpunkt in Manas zu interessieren. Die kleine, marginalisierte Opposition des Landes konnte höchstens ein paar hundert Menschen zu einer Demonstration mobilisieren.

Niemand, auch nicht die Vereinigten Staaten, deren Stützpunkt in Kirgistan eine wichtige Station für Truppen und Material nach und aus Afghanistan ist, sah einen Grund um zu glauben, dass sich dies ändern würde.

Doch an nur einem einzigen Tag der letzten Woche wurde das kirgisische Regime hinweggefegt. Die Geschwindigkeit des Zusammenbruchs hat die Gerüchteküche angeheizt, dass fremde Kräfte, mit Russland als Hauptverdächtigen, beteiligt waren. Aber die Erklärung könnte viel einfacher sein: Gewöhnliche Menschen haben diese Rebellion (es war keine Revolution, auch nicht der Putsch im Jahr 2005 war es) zustande gebracht. Ja, die Opposition schien mit ihnen zeitweise gar nicht recht mithalten zu können. Präsident Bakijew und seine allmächtige Familie haben mit ihrer, wie es ein Mitarbeiter des Präsidenten nannte, "pathologischen Gier", den Aufstand verursacht.

Der Bruch geschah bereits an Neujahr, als Präsident Bakijew es tatsächlich schaffte, die Schmerzgrenze des kirgisischen Volkes zu überschreiten: Die Heiz- und Stromtarife wurden verdoppelt, weitere Erhöhungen für später im Jahr zudem angekündigt. Es handelte sich um eine massive Belastung für das durchschnittliche Haushaltsbudget. Die Maßnahmen wurden als Reform des freien Marktes beschrieben, um Mittel für das klapprige Stromnetz zu erhöhen.

Doch das glaubten nur wenige. Die Skepsis kippte schon wenige Wochen später um in Zorn, als das profitabelste Energieunternehmen des Landes privatisiert wurde. Der neue Eigentümer bezahlte weniger als drei Millionen Dollar, obwohl die Regierung Ende 2008 das Unternehmen auf 137 Mio. Dollar geschätzt hatte. Durch gestiegene Preise erfuhr der neue Besitzer zusätzlich einen angenehmen Geldsegen. Viele Menschen glaubten, dieser sei niemand anderes als der Sohn des Präsidenten, Maxim Bakijew.

Die ersten Demonstranten gingen Ende Februar auf die Straße, in der kältesten Stadt des Landes, in Naryn. Sie zogen dann weiter nach Bishkek, verbreiteten sich in den Süden und Osten und dann wieder zurück nach Bishkek.

Etwa nach einen Monat der Proteste prangerten die amtlich kontrollierten russischen Medien die Vetternwirtschaft und Korruption des Bakijew Regime an. (Falls die Russen an den Umbrüchen mitbeteiligt gewesen sind, ist es nicht nachgewiesen worden. Auch gab es ausreichend hausgemachten Zorn, um die Proteste in Gang zu halten). Letzte Woche schossen dann Truppen auf die Demonstranten, aber die Menschen wehrten sich, ihre Wut hat das Regime verjagt.

Vorfälle dieser Art sind in der jüngsten Geschichte immer wieder vorgekommen, und trotzdem scheinen wir jedes Mal überrascht zu sein. Ein stabiles, aber undemokratisches Regime mit einer verschwenderisch finanzierten Sicherheitsmaschinerie zerfällt immer dann urplötzlich, wenn das Fußvolk entscheidet, nicht in einem Graben für ihren Führer zu sterben.

So geschah es in Saigon im Jahr 1975, als südvietnamesische Spezialkräfte, von denen man ausging, sie würden bis zum Ende kämpfen, ihre Uniformen auf der Straße abstreiften und nach Hause gingen. Es geschah in Manila im Jahr 1986, als Ferdinand Marcos' Elitesicherheitskommando unter dem Druck der Bevölkerung sich auflöste. Und in Moskau, im Jahre 1991, als Elitetruppen beschlossen, keinen Staatsstreich zu unterstützen.

Washington setzte darauf, dass das Bakijew-Regime lange genug an der Macht bleiben würde, um die Kriegsanstrengungen in Afghanistan zu gewährleisten. Das schien plausibel, war aber falsch. Die Amerikaner müssen nun rasch handeln, um die Beziehungen zu der kleinen, aber zersplitterten Gruppe von Führungskräften, die aus einigen langjährigen Oppositionellen, aber auch neueren Rekruten aus dem Bakijew Regime besteht, aufzubauen. Sie haben sich in den letzten Jahren von den Vereinigten Staaten größtenteils ignoriert gefühlt.

Kirgistan wird schnell aus den Nachrichten verschwinden, aber es steht, mit einer verfallenden Infrastruktur der Sowjetära und jahrelangem staatlich gefördertem Diebstahl, vor einer schwierigen Zukunft.

Für Washington und die Welt ist dies eine Lehre, vorausgesetzt sie mögen daraus lernen. Die Schlüssellehre ist, dass autoritäre Regime nicht nur widerwärtige, sondern auch unzuverlässige Verbündete sind. Sie blockieren alle Sicherheitsventile: freie Wahlen und Medien, den demokratischen Diskurs, Opposition. Wandel kommt dann meist in Form einer Explosion. Abhängigkeit von solchen Regime ist sowohl armselige Ethik, als auch schlechte Strategie.

Kirgistan ist nicht die Ausnahme in Zentralasien. Es ist die Regel. Die Führer der Region ähneln Bakijew in vielerlei Hinsicht, einige sind sogar noch schlimmer. Allesamt sind sie Autokraten und übermäßig korrupt. (Und alle erlauben, dass ihr Hoheitsgebiet für den Nachschub der alliierten Streitkräfte in Afghanistan verwendet wird). Es ist nicht bekannt, wann die Schmerzgrenze der Bürger wirklich erreicht wird, aber die Ereignisse in Bischkek zeigen deutlich, dass es immer dann passiert, wenn wir es am wenigsten erwarten.

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