Die Affäre Gontard Ist ein Ablenkungsmanöver
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Crimes against the Climate: Violence and Deforestation in the Amazon
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Op-Ed / Latin America & Caribbean 6 minutes

Die Affäre Gontard Ist ein Ablenkungsmanöver

Schweizer Vermittler wurde von Bogotá missbraucht, sagt ein Kenner der Szene

Die schweizerische Vermittlung in Kolumbien wurde von der Regierung in Bogotá missbraucht, um die Operation «Schach» – die Befreiung prominenter Geiseln in einer Kommandoaktion – zu tarnen. Die Angriffe gegen den Vermittler Gontard sollen davon ablenken. Diese Auffassung vertritt Alain Délétroz vom Thinktank International Crisis Group.

Die schweizerische Vermittlung zwischen Regierung und Guerilla in Kolumbien ist gescheitert. Der Vermittler Jean-Pierre Gontard ist seit einigen Wochen heftigen Anfeindungen ausgesetzt, in Kolumbien und auch in der Schweiz.

Die Anschuldigungen gegen Gontard sind gravierend, aber solide Beweise gibt es keine – in einem Umfeld, wo Geheimdienste die Information steuern, ist die Wahrheit schwer zu erkennen.

Die Regierung in Bogotá ist anscheinend der Auffassung, dass sie keine Vermittlung mehr braucht. Und isolationistische Kreise in der Schweiz wollen offenbar wieder einmal klarmachen, dass die Schweiz auf eine aktive Aussenpolitik am besten ganz verzichtet.

Ein naher Beobachter dieser Vorgänge ist Alain Délétroz, Vizepräsident Europa des Thinktanks International Crisis Group in Brüssel. Délétroz ist Schweizer, bei seiner Organisation ist er unter anderem zuständig für Lateinamerika.

Was bedeutet die Geiselbefreiung in Kolumbien für Präsident Uribe?
Es ist ein grosser politischer Sieg. Uribe war schon vorher sehr populär, und jetzt ist er unglaublich populär. Vorher erreichte er in Umfragen 73 Prozent Zustimmung, jetzt 91 Prozent. Es gibt wenige demokratisch gewählte Präsidenten, die solche Umfragewerte erreichen. Auch wenn man solchen Umfragen nicht allzusehr trauen sollte: Präsident Uribe hat starken Rückhalt in der Bevölkerung – das ist klar.

Und damit auch seine politische Linie.
Ja. Seit Uribe im Amt ist, gibt es einen starken politischen Willen: Die Sicherheitskräfte und die Geheimdienste werden gestärkt. Und mit dieser Operation haben sie gezeigt, wie gut sie sind, wie professionell sie arbeiten.

Fenster schliessen Was für eine Rolle spielt die Militärhilfe der USA?
Die Militärhilfe ist entscheidend. Die Elitetruppen sind jetzt gut ausgebildet und gut ausgerüstet. Die Amerikaner schicken aber nicht einfach Geld. Sie verlangen, und das vergisst man oft in Europa, dass in der Kriegführung die Genfer Konventionen eingehalten werden, die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht; das wird vom US-Kongress auch kontrolliert.

Und die Israeli?
Es scheint, dass einige ehemalige israelische Agenten in Kolumbien tätig sind, im Bereich der Luftraumüberwachung und der Kommunikationsüberwachung. Es gibt Berichte, wonach diese Spezialisten mit Synthesizern die Stimmen von Farc-Kommandanten imitierten. Also falsche Anrufe mit falschen Stimmen, zur Täuschung. Das ist dann schon fortgeschrittene Technik. So wird es jedenfalls berichtet.

Und in welcher Lage befindet sich jetzt die Farc-Guerilla?
Die Farc ist sehr geschwächt. Seit sie existiert, hat sie noch nie einen solchen Schlag erhalten. Die Farc-Führung hat versagt, sie ist in den Augen der Basis delegitimiert. Sicher herrscht grosses Misstrauen. In dieser Führung muss es Leute geben, die sich kaufen liessen.

Und was ist mit den Geiseln, die sich weiterhin in der Gewalt der Farc befinden? 
Es sind immer noch über 700 Geiseln. Die Farc unterscheiden zwischen normalen Geiseln und politischen Geiseln. Die normalen Geiseln will sie gegen Lösegeld verkaufen, für die politischen will sie politische Zugeständnisse. Das Festhalten der Geiseln, und dann noch unter diesen Lebensbedingungen, ist ein Verbrechen. Und die Unterscheidung zwischen normalen und politischen Geiseln macht die Sache nicht besser – es ist auf alle Fällen ein Verbrechen.

Befinden sich noch Ausländer unter den Geiseln?
Meines Wissens nicht. Zu befürchten ist, dass die internationale Aufmerksamkeit sich jetzt von den Geiseln abwendet, da Ingrid Betancourt frei ist.

Die internationale Vermittlung sollte zur Befreiung der Geiseln führen. Jetzt wird der Jean-Pierre Gontard als Vermittler im Auftrag der Schweiz von der kolumbianischen Regierung offen angefeindet.
Da macht die Regierung wahrscheinlich einen grossen Fehler. Der Krieg ist nicht vorbei, trotz aller politischen und militärischen Erfolge der Regierung Uribe. Es wäre schön, aber ich glaube nicht daran. Ich glaube nicht, dass die Guerilla mit Militärgewalt allein zu bodigen ist. Und ein direkter Dialog zwischen Regierung und Guerilla ohne Vermittlung – das wird sehr schwierig. Wahrscheinlich wird die Regierung schon bald wieder Vermittler brauchen. Aber ob dann noch jemand zum Vermitteln bereit ist?

Die Regierung hat die diplomatischen Brücken hinter sich abgebrannt?
Ja, in der Tat. Ich war in Paris und Madrid; in den Aussenministerien dort sind sie äusserst aufgebracht über die Art und Weise, wie die Vermittler jetzt von der kolumbianischen Regierung behandelt werden. In Bern war ich leider in den letzten Wochen nicht; ich stelle mir vor, dass man auch dort nicht erbaut ist. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass ausländische Vermittler von Kolumbien so vorgeführt werden. Den Mexikanern ist am Beginn dieses Jahrzehnts das Gleiche passiert.

«Die Reisen im Dschungel waren strapaziös und gefährlich» 
Wie wurde die Paralleldiplomatie eigentlich gehandhabt?
Ich weiss natürlich nicht alle Details, aber doch einiges. Die zuständigen Stellen waren uns gegenüber recht offen. Wenn Gontard und der französische Vermittler Noël Saenz nach Kolumbien reisten, um mit der Farc Verhandlungen zu führen, taten sie das meines Wissens immer mit ausdrücklicher Genehmigung der Regierung in Bogotá. Sie gingen in den Urwald, um Botschaften dieser Regierung zu überbringen. Übrigens galten diese Botschaften mehrmals schon nicht mehr, wenn sie dann im Lager der Guerilla ankamen. Die Stellung der Vermittler wurde dadurch geschwächt. Das hat in Bern, Paris und Madrid grossen Ärger verursacht. Die Reisen im Dschungel waren strapaziös und gefährlich. Die beiden waren jeweils zwei bis drei Wochen unterwegs, sie machten lange Fussmärsche, und das in einem Kriegsgebiet. Das war nicht Diplomatie in einem Genfer Hotel.

Worüber wurde genau verhandelt?
Im Wesentlichen ging es darum, einen Ort für den Austausch von Gefangenen und Geiseln zu finden. Die Farc verlangten für den Austausch eine demilitarisierte Zone, die Regierung lehnte das ab. 

Haben die drei Vermittler Schweiz, Frankreich und Spanien eigentlich gleich oder ähnlich gearbeitet?
Sie hatten das gleiche Ziel: die Befreiung der Geiseln. Aber ihr Vorgehen war verschieden. Spanien hat sich bei der ganzen Vermittlung eher im Hintergrund gehalten; sie haben sich nicht stark engagiert. Die Schweiz hat sich am meisten eingesetzt, sie ist am tiefsten vorgedrungen. Sie ist damit auch das grösste Risiko eingegangen. Frankreich verärgerte die kolumbianische Regierung mit öffentlicher Kritik und einseitigen Aktionen, so etwa mit dem Flug in den brasilianischen Urwald 2003. Das war auf Einflussnahme aus dem Umkreis der Familie Betancourt zurückzuführen. Die Arbeit des französischen Vermittlers wurde damit stark erschwert. Und dann war auch die Nähe Frankreichs zum venezolanischen Präsidenten Chávez nicht hilfreich.

Welche Rolle hat Chávez gespielt?
Chávez hatte einen Anfangserfolg: Immerhin kamen Ende 2007 sechs Geiseln frei. Doch dann hat er die lateinamerikanischen Regierungen aufgerufen, die Farc als «aufständische Armee» anzuerkennen. Chávez nahm damit politisch Partei für die Guerilla; für Bogotá war er kein valabler Vermittler mehr. Aber Frankreich baute weiter auf Chávez, statt sich zu distanzierten. So blieb nur die Schweiz – sie war der zuverlässigste Vermittler. Wir bei der International Crisis Group haben übrigens die Anstrengungen der Schweiz immer unterstützt. Wir fanden es notwendig, dass die Schweiz diese heikle und gefährliche Arbeit machte.

Offenbar ist Gontard für die kolumbianische Regierung nun auch kein valabler Vermittler mehr. Warum?
Bogotá zeigt sich ja sehr aggressiv. Ich denke, mit den Angriffen gegen Gontard will die kolumbianische Regierung ablenken von dem, was da gespielt wurde. Als die Sicherheitskräfte ihre Operation «Schach» ausführten und Ingrid Betancourt und die andern 14 Geiseln befreiten, waren die Vermittler in Kolumbien; eine neue Verhandlungsrunde sollte beginnen. Das wurde auch in den kolumbianischen Medien angekündigt. Die Vermittler wurden missbraucht, um die Operation «Schach» als humanitäres Unternehmen zu tarnen und die Farc-Kommandanten zu täuschen. Und ich finde es sehr schade, dass die Angriffe gegen die Vermittler auch von einigen Schweizer Medien weiterverbreitet werden. Es wäre besser, die Leute zu verteidigen, die Risiken eingehen im Namen des Friedens. Gut, das ist meine persönliche Meinung.

 Aber was ist denn mit den E-mails, die belegen sollen, dass Gontard für die Farc den Geldkurier spielte?
Dazu kann ich keinen Kommentar abgeben. Ich weiss nichts von finanziellen Transaktionen. Ich weiss auch nicht, ob die jetzt vorgelegten E-mails von den Datenträgern der Farc stammen.

«Wie weit wollen sie noch gehen?» 
Gontard wird nicht nur in Kolumbien angegriffen, sondern auch in der Schweiz. Was bedeutet das für die Schweizer Diplomatie?
Vermittlung in Konflikten ist nötig. Und nicht viele Länder können Vermittlerdienste leisten. Die Schweiz kann es, weil sie ein kleines und neutrales Land ist, weil sie eine humanitäre Tradition hat und auch eine diplomatische Erfahrung in solchen Dingen. Es ist klar: Wenn man eine so delikate und diskrete Mission übernimmt wie in Kolumbien, geht man ein politisches Risiko ein. Gewisse Kräfte auf der rechten Seite des politischen Spektrums wünschen aber eine Abkapselung der Schweiz; sie haben Angst vor politischen Risiken. Aber was wird aus der Diplomatie, wenn man keine Risiken eingeht?

Ja, was?
Die International Crisis Group arbeitet in über 60 Konflikten. Was wir jetzt an verschiedenen Orten sehen, zum Beispiel auch im Mittleren Osten, ist Folgendes. Schweizer Diplomaten vermitteln, sie machen die Kärrnerarbeit. Und wenn dann eine Übereinkunft unterschrieben wird, müssen sie ihren Platz andern überlassen, den Norwegern oder Kanadiern zum Beispiel – weil die politischen Risiken in Bern zu gross sind. Man muss schon fragen: Wie weit wollen sie noch gehen bei der Aushebelung der Schweizer Diplomatie als verlässlicher Vermittlerin in den Konflikten der Welt? Wollen sie, dass die Schweizer völlig von der internationalen Szene verschwinden? Ich glaube nicht, dass die Schweiz ohne Diplomatie gut fahren wird.
 

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