Syrien hat aus Arabiens Revolutionen nicht gelernt
Syrien hat aus Arabiens Revolutionen nicht gelernt
Op-Ed / Middle East & North Africa 3 minutes

Syrien hat aus Arabiens Revolutionen nicht gelernt

Präsident Assad schießt lieber auf sein Volk, anstatt wirkliche Reformen zu beschließen. Dabei hätte er eine Chance, den Umsturz friedlich zu verhindern.

Syriens Präsident Bashar Assad hatte genügend Zeit, um die wachsenden Unruhen in Nahost zu beobachten. Das war sein größter Vorteil gegenüber den Amtskollegen in Tunesien und Ägypten. Doch er verpasst die Chance. Tausende demonstrierten am Freitag nach dem traditionellen Gebet in Syrien erneut gegen das syrische Regime – und Assad reagierte mal wieder mit Gewalt: Mehrere Menschen starben durch die Schüsse seiner Sicherheits-Schergen. Bereits bei seiner Rede an die Nation vor zwei Tagen hatte Assad es versäumt, aus den Fehlern anderer zu lernen und die eigenen wiedergutzumachen.

Die syrische Regierung hat zum einen die Veränderungen in der gesamten Region zu spät erkannt. Inzwischen können arabische Regime nicht mehr so einfach auf westliche Scheinheiligkeit und israelische Arroganz verweisen, wenn sie die Bürger von der eigenen jahrelangen Misswirtschaft ablenken wollen. Die unterdrückten Menschen dulden plumpe Propaganda, räuberische Korruption und verantwortungslose Gewalt nicht mehr. Daraus folgt, dass jeder Versuch eines Regimes, die neuen Erwartungen seiner Bürger mit alten Mitteln zu bekämpfen, fehlschlagen muss.

Doch die syrische Führung wähnte sich in dem Glauben, sie sei eine Ausnahme. Als Grund führte sie ihren offenen Widerstand gegen die amerikanisch-israelische Ordnung in der Region und Assads persönliches Ansehen in weiten Teilen der Bevölkerung an. Dem Regime war zwar durchaus klar, dass die Ansprüche seiner Bürger zunehmen würden. Doch er dachte, durch eine präventive Sicherheitspolitik und Lohnerhöhungen sowie Steuersenkungen sei das Volk schon ruhig zu stellen. Assad führte außerdem vorsichtige Reformen durch, zum Beispiel änderte er ein wenig das kommunale Wahlrecht.? Doch es nutzte nichts.

Denn das syrische Regime hat wichtige Veränderungen im Land verpasst. Eine davon war die Sichtbarkeit der Ereignisse: Vor der Revolution in Tunesien gab es nicht mal eine ansatzweise vollständige Überwachung der Medien. Informationen über die Praktiken des Regimes, vergangene oder gegenwärtige, waren überall zu erhalten. Doch die meisten Bürger hatten andere Sorgen, als sich damit zu befassen. Erst seit den Umwälzungen in der arabischen Welt steht alles im Zusammenhang mit der Regierung auch bei den Syriern auf dem Prüfstand. Jede Bewegung des Regimes wird dokumentiert, kommentiert und den Machthabern wird damit widersprochen.

Ein weiterer Fehler war es, Gewalt einzusetzen. Als es in verschiedenen Landesteilen zu Unruhen kam, reagierte der verwirrte Sicherheitsapparat Assads mit seinen tiefverwurzelten schlechten Angewohnheiten: Kinder wurden festgenommen, Frauen geschlagen und Demonstranten wurden erschossen. Erst nach der Eskalation beschloss die syrische Führung einige Dinge, die vorher wesentlich mehr Gewicht gehabt hätten: Die Regierung trat zurück und es gibt die Überlegung, den Ausnahmezustand aufzuheben. Im krassen Gegensatz dazu stand, dass gleichzeitig Millionen mobilisiert wurden, um auf der Straße ihre vermeintliche Liebe zum System zur Schau zu stellen. Der Personenkult um Syriens Präsident wurde noch erhöht.

Den eigentlich wachsenden Vertrauensverlust in der Bevölkerung hingegen, den hat das Regime seit Jahren ignoriert. In einem Anfall von Naivität dachten die Vertreter, dass man ihnen die neue Reformbereitschaft glauben würde. Dabei wurde die Frage nach grundlegenden Veränderungen im Staat natürlich ausgeklammert. Die Behörden beschuldigten vielmehr ausländische Kräfte, an den Unruhen schuld zu sein. Das stimmt zwar zum Teil, doch der Unmut der syrischen Bevölkerung war ebenso groß. Ausländische Medien wurden für ihre voreingenommene Berichterstattung beschimpft, während die Regierung selbst hart durchgriff, im Internet einzusehende Beweise für ihr Handeln ignorierte und primitivste Propaganda verbreitete.

In einem Land, in dem Verschwörungstheorien generell hoch im Kurs stehen, verlor das Regime ironischerweise gegen seine eigene Argumentation: Es setzte die aufbegehrende Bevölkerung mit den äußeren Gegnern des Regimes gleich. Damit verwandelte Assad sein Volk ganz von selbst in einen Feind.

Hinzu kommt, dass das Volk wirkliche Veränderungen erwartet: Die vom Regime beauftragten Mörder müssten verurteilt, der riesige Sicherheitsapparat müsste abgebaut, die Korruption wirksam bekämpft werden. Bezeichnenderweise wurde auch nicht eine einzige Maßnahme ergriffen, die die hohen Ränge der Macht hätte bedrohen können, obwohl es genau das ist, was die Menschen erwarten: Eine Elite zur Verantwortung zu ziehen, die die Macht als Erbrecht, den Staat als persönliches Eigentum und das Land als Raubgut betrachtet. Der Schutz einiger weniger Privilegierter wird die syrische Führung daher am Ende alles kosten.

Assads Trumpf wäre es gewesen, wenn er eine Revolution gegen seine eigene Entourage angeführt hätte. Immerhin hat er jene zurückgedrängt, die von vornherein auf totale Unterdrückung setzten. Aber seine mit vielen Hoffnungen erwartete Ansprache am Mittwoch bot keine glaubhaften Alternativen. Nun ist es sehr wahrscheinlich, dass die enttäuschten Syrier wieder und wieder auf die Straße gehen. Das Regime muss nun ein erneutes Blutvergießen verhindern. Ein Fortsetzen der jetzigen Unterdrückung könnte ihm helfen, zu überleben und genauso gut, dessen Selbstmord sein – in jedem Fall wäre es aber ein schmachvolles Schicksal.
 

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