Der Präsident kann den Bürgerkrieg verhindern
Der Präsident kann den Bürgerkrieg verhindern
The Conflict in Yemen Is More Than a Proxy War
The Conflict in Yemen Is More Than a Proxy War
Op-Ed / Middle East & North Africa 5 minutes

Der Präsident kann den Bürgerkrieg verhindern

Während das politische Ringen um die Zukunft des Jemen weiter anhält, besteht die vorrangige Herausforderung des Landes darin, einen blutigen Bürgerkrieg abzuwenden. Die Verbündeten im Kampf gegen Jemens Präsident Ali Abdullah Salih sind höchst unterschiedliche Alliierte. Zwar haben Jugendliche und zivile Aktivisten die Proteste gegen das Regime ausgelöst - sie sind das symbolische Herz der Protestbewegung -, doch viel bemerkenswerter ist, dass sich die Protestbewegung zu einem Schlachtfeld der Mächtigen in Salihs eigenem Stammesverband Haschid entwickelt hat.

Die härtesten Gegner Salihs sind die Söhne von Abdullah Bin Hussein al-Ahmar, einem einflussreichen Scheich der Haschid. Hamid al-Ahmar, Mitglied der Partei Islah und erfolgreicher Geschäftsmann, fordert bereits seit Jahren den Rücktritt Salihs. Er war der erste in seiner Familie, der die Protestbewegung unterstützte. Sein Bruder Hussein trat kurz darauf ebenfalls der Bewegung bei, verließ die Partei Salihs und versammelte die Stammesunterstützer in der Hauptstadt, um sich mit den Oppositionellen zusammenzuschließen. Nach der Erschießung von 52 Oppositionellen in Jemens Hauptstadt Sanaa am 18. März sprach sich dann auch der älteste Bruder Sadik, Scheich der Hashid, für den Rücktritt Salihs aus.

Am 22. März dann ein wirklich harter Rückschlag für Salih: Der einflussreiche General Ali Muhsin al-Ahmar, Mitglied von Salihs Stammesverband und zweitmächtigster Mann des Landes, wechselte das Lager und schloss sich den Oppositionellen an. Die Söhne des Scheichs al-Abdullah und einzelne Akteure wie Muhsin fühlten sich wegen der Machtkonzentration und der Privilegien, die sich bei Salihs Sohn Ahmed und seinen Neffen konzentrierten, ausgegrenzt. Indem sie Salih ihre Unterstützung entzogen, hat sich die Macht im Stammesverband Haschid von Salihs Familie auf sie selbst verlagert.

Muhsins Entscheidung, sich den Demonstranten anzuschließen, führte zum Seitenwechsel des Militärs. Zahlreiche Generäle erklärten ihre Unterstützung der Protestbewegung, einschließlich des Generals der östlichen Division, die die Öl- und Erdgasexporte im Südosten Jemens kontrolliert.

Trotz dieser Desertionen hat Salih aber noch ausreichend Unterstützung, um die Protestbewegung – zumindest gegenwärtig – in Schach zu halten. Obwohl die reguläre Armee die Oppositionellen aufgrund des Lagerwechsels Muhsins größtenteils unterstützt, sind die Republikanische Garde, deren Anführer Salihs Sohn ist, und die zentralen Sicherheitskräfte, die von Salihs Neffen und weiteren engen Beratern kontrolliert werden, dem Regime treu geblieben. Die Streitkräfte Muhsins verhalten sich defensiv, um die Oppositionellen auf dem Tagheer-Platz in Sanaa zu schützen, während die Republikanische Garde vor dem Präsidentenpalast, der Zentralbank und weiteren wichtigen Regierungsgebäuden verstärkt Präsenz zeigt. Beide Lager haben bis jetzt eine ernste Konfrontation vermieden, obwohl Gefechte in der Hafenstadt Al Mukallah im Südosten des Landes gemeldet wurden. Darüber hinaus haben Ali-Muhsin-treue Stämme Stellungen der Republikanischen Garde im nördlichen Regierungsbezirk Al Jawf angegriffen.

Streitkräfte beider Lager wurden nach Sanaa entsandt, um für eine mögliche Konfrontation vorbereitet zu sein. Die Sicherheitslage außerhalb der Hauptstadt wird zunehmend prekär. Die Landbevölkerung ist in den Händen der Stammesoberhäupter oder Volkskomitees, und der Infiltration von al-Qaida ausgesetzt. Bewaffnete Kämpfer haben bereits mehrere Städte in den Regierungsbezirken von Abyan erobert. Gruppen, die einen unabhängigen Staat im Südjemen fordern, haben ihre Kontrolle über Teile des Südens verstärkt, während Huthi-Rebellen die Provinz Saada vollständig unter ihre Gewalt gebracht haben.

Aufgrund der Entscheidung Muhsins, sich den Oppositionellen anzuschließen, fanden sofort einige zunächst vielversprechende Verhandlungen statt zwischen Salih, den Führern des Oppositionsbündnisses JMP (Joint Meeting Parties), und Muhsin selbst. Am 23. März gab Salih öffentlich bekannt, dass er einem am Monatsanfang vom JMP vorgeschlagenen 5-Punkte-Plan zustimmen werde. Der Plan sieht unter anderem seinen Rücktritt zum Ende des Jahres vor. Aus bisher unbekannten Gründen wurden die hinter verschlossenen Türen stattfindenden Verhandlungen kurz darauf abgebrochen. Die Opposition bestand darauf, dass Salih sofort zurücktritt.

Seitdem haben sich die Fronten verhärtet. Salih gab widersprüchliche Signale, indem er am 25. März vor seinen Anhängern erklärte, dass er bereit sei, Macht abzugeben, allerdings nur in "fähige Hände". Noch am selben Tag gab die Regierungspartei bekannt, dass Salih noch bis Ende 2013 sein Amt ausüben werde. Zwei Tage später verkündete dieser allerdings, dass er der Opposition keine weiteren Zugeständnisse anbieten werde. Kurz davor gaben sich beide Lager gegenseitig die Schuld an einer großen Explosion in einem Munitionslager im südlichen Regierungsbezirk Abyan, bei der 150 Menschen ums Leben kamen.

Obwohl der Dialog zwischen Salih und der Opposition zunehmend aggressiver wird, sind die Kommunikationskanäle weiterhin offen. Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, die Europäische Union und zahlreiche jemenitische Vermittler, darunter angesehene Oberhäupter in Salihs Stammesverband, unterstützen die Gespräche. Personen mit Kenntnissen über den Verhandlungsstand bestätigen, dass über die groben Punkte des Übergangsplans Einigkeit herrscht. Unabhängig davon, welche Übereinkunft getroffen wird, sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach eine Machtübergabe Sahlis an eine Übergangsregierung beinhalten. Diese würde dann eine Verfassungsänderung und die Ausarbeitung neuer Gesetze für Parlaments- und Präsidentschaftswahlen anstreben.

Über den Zeitpunkt von Salihs Rücktritt, sowie über den Status seines Sohns und seiner Neffen, besteht weiterhin Uneinigkeit. Salihs Lager möchte, dass er seine Amtszeit beendet, wohingegen die Opposition dafür plädiert, dass Salih in den nächsten Monaten abdankt. Salihs Unterstützer sprechen sich außerdem dafür aus, dass, wenn dessen Sohn und Neffen die Macht abgeben, die Ahmar-Brüder genauso handeln sollten. Ein Vorschlag schlägt einen "Vier-und-vier-Rücktritt" vor, bei dem Salihs Sohn und seine drei mächtigsten Neffen mit den vier Ahmar-Brüdern gleichzeitig zurücktreten sollen. Diese Übereinkunft würde bedeuten, dass sich keiner dieser Männer während der Übergangszeit und der Neuwahlen im Land aufhalten darf.

Wenn die politische Elite des Jemen einen friedlichen und würdevollen Rücktritt für Salih und seine Familie aushandeln kann, wäre die unmittelbare Bedrohung durch einen Bürgerkrieg gebannt. Mindestens genauso wichtig ist aber auch die Zeit nach Salihs Rückzug. Die Jugendlichen, die Zivilbevölkerung und die Reformer, die eine Demokratie befürworten, sind institutionell schwach vertreten. Falls persönliche Interessen in einer möglichen Übergangszeit nach Salih dominieren, könnte im Jemen ein ähnliches politisches System wie zu Salihs Zeiten vorherrschen, das von mächtigen Stammeseliten aus dem Norden aus der Haschid-Konföderation zusammen mit sunnitischen Islamisten kontrolliert wird.

Diese Situation würde zweifellos die Bevölkerung aus dem Süden verstimmen, die sich zu Recht über die politische und wirtschaftliche Ausgrenzung unter dem jetzigen Regime beklagt. Es würde außerdem zu Spannungen im hohen Norden führen, wo die Zaiditen, ein Zweig der Schiiten, schon lange das Vordringen des sunnitischen Salafismus mit großem Unmut sehen.

Die Protestbewegung hat zwar die Tür zu einem Regimewechsel geöffnet, sie hat allerdings auch einen Kampf innerhalb der Elite geschürt, der mit einem demokratischen Machtwechsel wenig zu tun hat. Vielmehr geht es um den Erhalt der Machtverhältnisse und persönlicher Interessen. Diese Dynamik umzukehren wird schwierig, ist aber möglich. Wie auch immer die Gespräche verlaufen, es ist unabdingbar, dass die Übergangsregierung die Jugend, die Zivilbevölkerung und die regionalen Gruppierungen gleichermaßen vertritt. Außerdem müssen die politischen Parteien im Jemen ihre Anstrengungen verstärken, die Jugend in ihre Führungsstruktur zu integrieren.

Befürworter der Demokratie aus dem gesamten politischen Spektrum müssen für Mechanismen sorgen, die jegliche zukünftige Regierung zur Verantwortung für die versprochenen Reformen ziehen. Einige dieser Maßnahmen wurden glücklicherweise bereits ergriffen. Deren erfolgreiche Umsetzung spielt eine wichtige Rolle bei der Bestimmung des politischen Weges des Landes. Die wichtigste Entscheidung liegt zurzeit jedoch noch in Salihs Händen: Kampf oder Reformen. Die Chance eines schnellen und würdevollen Übergangs ist immer noch gegeben und könnte das politische Erbe Salihs retten. Jedoch schwinden die Chancen, solange die Zahl der Toten unter den Oppositionellen weiterhin steigt.
 

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