Hamas muss sich zwischen Muslimbrüdern und Teheran entscheiden
Hamas muss sich zwischen Muslimbrüdern und Teheran entscheiden
Is the Middle East’s Makeover a Mirage?
Is the Middle East’s Makeover a Mirage?
Op-Ed / Middle East & North Africa 3 minutes

Hamas muss sich zwischen Muslimbrüdern und Teheran entscheiden

Dank des Arabischen Frühlings steht die im Gaza-Streifen herrschende Hamas-Bewegung heute vor wegweisenden Entscheidungen. Erste strategische Veränderungen hat es bereits gegeben: Die Hamas-Zentrale im syrischen Damaskus wurde aufgegeben – auf Kosten des guten Verhältnisses zu ihrem eigentlich größten Unterstützer, dem Iran. Stattdessen werden nun die Beziehungen zu amerikanischen Verbündeten wie Ägypten, Katar und der Türkei verbessert. Doch welcher Seite sich Hamas im derzeit eskalierenden regionalen Wettstreit anschließt, welche Allianzen sie eingeht, wird in der Bewegung nicht beantwortet. Sie ist in der zentralen Frage, wie sie mit den Veränderungen umgehen soll, gespalten.

Wie sehr der Arabische Frühling die Lage der Hamas verändert hat, zeigt die Ausgangslage. Bis zum Ausbruch der Revolten verharrte die Bewegung in Stagnation und diplomatischer Isolation. Die Islamisten sahen sich von Israel und Ägypten ökonomisch eingekreist, erdrückt von den Sicherheitskräften Jerusalems und der palästinensischen Autonomiebehörde. Und nur mit Mühe war man im Gaza-Streifen in der Lage, wegen einiger schwer kontrollierbarer Militanter den Waffenstillstand mit dem übermächtigen Gegner Israel aufrechtzuerhalten.Führende Persönlichkeiten im Westjordanland und im Exil sind der Meinung, es sei an der Zeit, einen mutigeren Schritt Richtung palästinensischer Einheit mit der konkurrierenden Fatah zu gehen. Dies vor allem angesichts des Aufstiegs der Muslimbrüder in Ägypten und der Annäherung des Westens an die Islamisten. Die Führungselite in Gaza hingegen steht angesichts der ungewissen politischen Zukunft der Region strategischen Veränderungen misstrauisch gegenüber.

Hamas' Popularität nimmt ab

Unfähig, den Forderungen des Volkes nach einer Aussöhnung mit der Fatah nachzukommen, verstrickte sich die Hamas-Führung in Widersprüche. Sie wollte eine islamistische Bewegung sein, doch ihr Regierungshandeln war säkular; gleichzeitig bezeichnete man sich als anti-israelische Widerstandsbewegung, doch die von Gaza ausgehenden Angriffe auf Israel wurden verurteilt. Seit den palästinensischen Wahlen von 2006 nimmt Hamas' Popularität zudem ab. Dabei verlor sie eine zwar kleine, doch bedeutsame militante Anhängerschaft. Diese schloss sich Gruppierungen an, die sich stärker an der Einhaltung islamistischer Vorschriften orientieren und auch regelmäßig Raketen Richtung Israel schießen. Der einzige Trost war, dass es der Fatah im Westjordanland auch nicht besser ging.

Der Aufstand in der arabischen Welt schien dies jedoch ändern. Während Ägyptens Ex-Präsident Hosni Mubarak noch ein Verbündeter der Fatah war, sind die heute in Kairo regierenden Muslimbrüder nicht nur Verbündete der Hamas, sondern auch ihre eigentliche Mutterorganisation. Eine positive Entwicklung also für die Bewegung, erkennbar als erstes daran, dass Beschränkungen am Gaza-Sinai-Übergang in Rafah gelockert wurden. Dessen Kontrolle nutzte das Mubarak-Regime noch als Druckmittel, um die Hamas-Führung in Gaza auszuzehren.

In der ganzen Region nahm zuletzt in Folge der Aufstände der Einfluss islamistischer Parteien erheblich zu. Die Hamas sieht das als Bestätigung ihrer politischen Ziele. Sie erhofft sich daraus eine Stärkung ihrer Position gegenüber der Fatah und Israel sowie das Ende der diplomatischen Isolation. Dennoch haben die Veränderungen in der Region auch ihren Preis.

Vor allem der Aufstand in Syrien ist für die Bewegung heikel. Das syrische Regime hatte Hamas unterstützt, als alle anderen arabischen Länder ihr den Rücken zuwandten. Ein Bruch mit Damaskus würde zudem riskieren, das schiitische Regime im Iran vor den Kopf zu stoßen. Teheran liefert Geld und Waffen nach Gaza und trainiert die Hamas-Milizen. Auf der anderen Seite aber stehen sowohl Hamas’ Beziehungen zu den Muslimbrüdern und den sunnitischen Arabern, als auch ihre Verpflichtungen gegenüber dem (mehrheitlich sunnitischen) Volk Syriens sowie Hunderttausenden palästinensische Flüchtlingen im Land.

Im gegenwärtigen Streit geht es der Hamas-Führung daher darum, wie man am besten vom regionalen Aufstand profitiert und was man gewillt ist, dafür aufzugeben. Noch präsentiert sich die Bewegung als Einheit, doch nur weil sie Entscheidungen aufschiebt und in Untätigkeit verharrt.

Nahost-Politik war ein Fehlschlag

Für die internationale Gemeinschaft, besonders für die USA und Europa, stellt sich die Frage, ob sie aus den letzten sechs Jahren gelernt haben. 2006 versuchten sie noch, die für die Hamas siegreichen Wahlen ungeschehen zu machen, was zur Trennung zwischen Gaza und dem Westjordanland führte. In der Folge dachte man fälschlich, die Spaltung der Palästinensergebiete wäre eine Gelegenheit für die Fatah, Frieden mit Israel zu schließen. Und man hoffte, die Hamas im blockierten Gaza-Streifen damit zu zwingen, ihre Herrschaft aufzugeben.

Heute weiß man, dass diese Strategie – Friedensstiftung und gleichzeitige Schwächung der Hamas – illusorisch waren. Doch die dramatische Veränderung in der US- und EU-Politik gegenüber den Muslimbrüdern könnten nun eine neue Chance bieten.

Die Hamas muss dafür Eingeständnisse machen, dazu gehören ein ernst gemeinter Waffenstillstand in Gaza, Unterstützung der Stabilisierung des Sinai, die Übertragung eines Mandats an Palästinenserpräsident Abbas zur Verhandlung mit Israel und die Einwilligung, Volksentscheide zu respektieren. Die USA und die EU können im Gegenzug deutlich machen, dass sie gewillt sind, mit einer palästinensischen Einheitsregierung zu verhandeln, deren Besetzung und Aktionen im Einklang mit diesen Prinzipien stehen sollten.
 

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