Op-Ed / Middle East & North Africa 06 Juni 2011 2 minutes Libyen braucht einen Waffenstillstand – sofort Share Facebook Twitter E-Mail Linkedin Whatsapp Speichern Drucken Um es klar zu sagen: Muammar al-Gadhafis "Herrschaft der Massen" ist dem Untergang geweiht. Nur eine völlig andere Staatsform, die politische Freiheiten und Bürgerrechte zulässt, wird im Libyen der Zukunft eine Chance haben. Doch noch ist es nicht so weit. Noch lange nicht. Gegenwärtig sind die Vorgänge in Libyen vom komplexen, aber bisher offensichtlich noch nicht entscheidenden Einfluss der westlichen Militärintervention geprägt. Die Nato, die die Intervention anführt, konnte den Konflikt bisher nicht zu Gunsten der Gadhafi-Gegner lösen. Sie konnte nur deren sofortige Niederlage verhindern, mehr nicht. Die Annahme, dass die Zeit der Opposition in die Hände spielt und dem Regime schon bald die Munition, das Benzin und das Geld ausgehen wird, dass es womöglich durch einen Putsch beseitigt wird, all dies war von Anfang an mehr Wunschdenken als ernsthafte Politik. Stattdessen dauert der militärische Konflikt an. Je länger dies der Fall ist, desto stärker geraten die erklärten Ziele der Gadhafi-Gegner in Gefahr. Die Zahl ziviler Bürgerkriegsopfer ist hoch, Tausende Menschen mussten fliehen. Das Land ist de facto zweigeteilt. Im hauptsächlich von der Opposition kontrollierten Osten und im eher vom Regime beherrschten Westen entwickeln sich unterschiedliche politische, soziale und wirtschaftliche Systeme. Die Folge: demokratiefreundliche Tendenzen in der urbanen Bevölkerung im Westen Libyens, vor allem in Tripolis, können praktisch nicht geäußert werden und bleiben daher politisch einflusslos. Für eine mögliche Regierung der Post-Gadhafi-Ära ist dies zusammen mit der wachsenden Verbitterung auf beiden Seiten ein schweres Erbe. Darüber hinaus wird der Bürgerkrieg und die damit verbundene Instabilität auch für Libyens Nachbarn zu einer strategischen Bedrohung. Nicht nur müssen sie mehr und mehr Flüchtlinge aufnehmen, auch wächst die die Gefahr, dass al-Qaida den islamisch geprägten Teil Nordafrikas unterwandert. In Algerien, Mali und Niger gibt es bereits entsprechende Netzwerke. Der Konflikt könnte auf die gesamte Sahelzone übergreifen. Es gibt einen Ausweg aus der kostspieligen militärischen Pattsituation: Verhandlungen zwischen beiden Seiten. Die Voraussetzungen dafür sind allerdings ein sofortiger Waffenstillstand und ein ungehinderter Zugang zum gesamten Land für humanitäre Organisationen, deren Umsetzung durch eine internationale UN-Friedenstruppe überwacht werden müsste. Daneben müssten rasch ernsthafte Gespräche zwischen Vertretern von Regime und Opposition beginnen. Ihr Ziel müsste die Vereinbarung eines friedlichen Übergangs zu einer neuen, besser legitimierten politischen Ordnung sein. Notwendig wäre auch das Engagement einer dritten Macht, die das Vertrauen beider Seiten genießt. Gegenwärtig ist eine solche nicht in Sicht, doch könnte ein gemeinsamer politischer Vorstoß der Arabischen Liga, die der Opposition nähersteht, und der vom Gadhafi-Regime bevorzugten Afrikanischen Union ein erster Schritt sein. Dafür allerdings müssten die Anführer des Aufstands und die Nato ihren gegenwärtigen Standpunkt überdenken. Denn eines ist klar: Man wird nicht auf Gadhafis Rücktritt als Vorbedingung für politische Initiativen beharren können, denn damit werden schlicht zwei unterschiedliche Ziele verwechselt. Sicher ist es legitim, darauf zu bestehen, dass Gadhafi in der neuen politischen Ordnung keine Rolle mehr spielt. Dieser Standpunkt wird mit ziemlicher Sicherheit von der Mehrheit der Libyer und von der internationalen Gemeinschaft geteilt. Seinen Rücktritt aber zur Vorbedingung für Verhandlungen, ja selbst für einen Waffenstillstand zu machen, lässt Letzteres in weite Ferne rücken und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines lang anhaltenden bewaffneten Konflikts. Am Ende ist nur ein sofortiger Waffenstillstand mit dem ursprünglichen Zweck der UN-Intervention, nämlich dem Schutz der Zivilbevölkerung, vereinbar. Die internationale Gemeinschaft trägt eine große Verantwortung für den weiteren Verlauf der Ereignisse. Anstatt stur an der gegenwärtigen Politik festzuhalten, die die Gefahr in sich birgt, in ein gefährliches Chaos zu führen, sollte man sich schleunigst für Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkriegs einsetzen. Und damit für einen Neubeginn des politischen Lebens in Libyen. Related Tags Libya More for you Event Recording / Middle East & North Africa What Happened in Derna (Online event, 5 October 2023) Our Journeys / Middle East & North Africa When the Dams in Libya Burst: A Natural or Preventable Disaster? Also available in Also available in العربية