Der Kosovo muss endlich seine Unabhängigkeit bekommen
Der Kosovo muss endlich seine Unabhängigkeit bekommen
The best deal Kosovo and Serbia can get
The best deal Kosovo and Serbia can get
Op-Ed / Europe & Central Asia 3 minutes

Der Kosovo muss endlich seine Unabhängigkeit bekommen

Nur zwanzig Jahre Bürgerprotest, ein verheerender Krieg sowie acht Jahre internationales Protektorat – und schon behauptet der serbische Premier Vojislav Kostunica, er habe einen Plan, was nun mit dem Kosovo passieren soll. Es gibt dabei nur ein Problem: Nicht einmal Regierungsvertreter in Belgrad scheinen zu wissen, wie der aussieht.

Trotz der hartnäckigen Rhetorik, der Kosovo müsse ein Teil Serbiens bleiben, haben die serbischen Behörden nie irgendeinen Vorschlag gemacht, wie denn die zu 90 Prozent albanische Bevölkerung in der wegstrebenden Provinz tatsächlich je wieder unter serbischem Dach leben könnte. Es gehörte ja nie zu Serbiens starken Seiten, sich Gedanken über die Menschen im Kosovo zu machen: Dies ist schließlich die Gegend, wo Belgrad im Jahr 1999 eine ethnische Säuberung betrieb, bei der Tausende albanischer Zivilisten niedergemetzelt und 800 000 Menschen in Nachbarländer vertrieben wurden, bis Nato-Bomben einen Wechsel der Politik erzwangen.

Sollte Belgrad nun tatsächlich über einen Plan verfügen, so ist das Einzige, was man darüber weiß: eine Reihe vager, manchmal widersprüchlicher Statements des jungen Außenministers Vuk Jeremic sowie des Kosovo-Ministers Slobodan Samardzic. Der „Plan” scheint keinen Kern zu haben und stellt nur den kleinsten gemeinsamen nationalistischen Nenner der serbischen Politik dar: dem Kosovo weiterhin die Unabhängigkeit zu verweigern.

Belgrads Lösung der Kosovo-Frage besteht darin, den Westen aufzurufen, erstens Serbiens Demokratie zu retten (auf Kosten der regionalen Stabilität), und zweitens, die gesamten finanziellen, rechtlichen und sicherheitsmäßigen Lasten zu tragen, die aus der Weigerung resultieren, dem Kosovo seine Unabhängigkeit zu geben. Belgrad hat nie diskutiert, wie oder ob es die Albaner in die serbische Gesellschaft, Wirtschaft und Politik integrieren würde. Auch hat es nichts darüber verlauten lassen, ob es ihnen dieselbe parlamentarische Vertretung, dieselben Menschenrechtsgarantien, dieselben kulturellen Rechte sowie jenen besonderen Schutz bieten würde, den umgekehrt die Albaner der serbischen Minderheit im Kosovo garantieren müssten – gemäß des akribischen Vorschlags des UN-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari, nachdem anderthalbjährige Verhandlungen zwischen beiden Seiten keine Einigung erbracht hatten.

Wegen der russischen Obstruktion im UN-Sicherheitsrat ist in diesen Tagen eine Troika aus der EU, den USA und Russland gezwungen, eine neue Verhandlungsrunde über den Kosovo zu eröffnen, die Ahtisaaris frühere Bemühungen kopiert. Zu Beginn dieser Shuttle-Diplomatie erwartet die Troika Beiträge von Belgrad und Pristina und hofft irgendwie auf einen Kompromiss. Doch gibt es absolut keine Anzeichen, dass sich die Einstellung Belgrads zum Kosovo unter dieser politischen Generation ändern wird, egal, welch äußerem Druck sie standhalten muss. Serbische Politiker können keinen Plan entwickeln, der die Albaner ins politische, soziale und wirtschaftliche Leben ihres Landes integriert. Denn jeder solche Plan würde sie innenpolitisch höchsten Risiken aussetzen. Und nun scheint Belgrad, ermutigt von Moskau (das seine eigenen zynischen Interessen verfolgt), auch noch seine Position zu verhärten, wie der Parlamentsbeschluss vom 24. Juli zeigt: Er autorisierte die Regierung, jede für notwendig erachtete Maßnahme zu ergreifen, die Serbiens Souveränität über den Kosovo schützt.

Darüber hinaus arbeitet Belgrad an einer Rückfall-Position: die Provinz aufzuteilen. Damit setzt es Slobodan Milosevics Politik fort und hofft, durch Zeitschinden die Albaner entweder zur einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit oder zu Gewalt zu verleiten. Das eine würde die internationale Gemeinschaft entzweien, das andere dazu führen, dass die Serben gut da stünden.

Jüngste Ereignisse zeigen wieder einmal, wie verheerend besonders eine Teilung wäre. Anfang August im südserbischen Presevo-Tal, an der Ostgrenze zum Kosovo: In der mehrheitlich von Albanern bewohnten Gegend verübte eine Gruppe von vermummten Männern in schwarzen Uniformen, ausgerüstet mit automatischen Gewehren, Granaten und Raketenwerfern, eine Serie von Raubüberfällen. Sie richteten sich gegen Autos, die auf einer Gebirgsstraße unterwegs waren. Eine serbische Polizeipatrouille, die dies untersuchen wollte, geriet unter Beschuss und musste die paramilitärische Gendarmerie rufen. Die wurde in ein Feuergefecht verwickelt – wobei sie einen der Angreifer tötete, einen 22-jährigen Mann aus dem nahen serbischen Grenzdorf Konculj.

Die Uniformen, die schweren Waffen und die Entscheidung, die Gendarmerie anzugreifen anstatt zu fliehen – dies alles spricht dafür, dass es sich um mehr als bloß um einen kriminellen Akt handelte: Die Angriffe hatten wahrscheinlich eine politische Botschaft, und es dürfte nicht allzu schwer sein, sie zu erraten: Konculj spielte 2000 / 2001 eine wichtige Rolle im albanischen Aufstand im Presevo-Tal, wo albanische Politiker öffentlich erklärten, dass sie im Fall einer Teilung des Kosovo darauf drängen würden, dieses Tal dem Kosovo zuzuschlagen. Mit anderen Worten: Wer durch eine Teilung die Grenzen ändern will, wird nur dazu einladen, dass auch anderswo nach neuen Grenzen gerufen wird. Und dies in einer Gegend, in der es bereits heute hochgerüstete private Banden gibt.

Inzwischen tickt die Uhr. Die Kosovo-Albaner haben – mehr oder manchmal leider auch weniger geduldig – acht Jahre gewartet, dass die internationale Gemeinschaft sie aus der rechtlichen Grauzone befreit. Obwohl sie im Verhältnis zu allen Minderheiten mit neun zu eins in der Überzahl sind, haben sie in einen multi-ethnischen Staat eingewilligt, der die weitreichendsten Schutzregeln für Minderheiten vorsieht, die Europa je gesehen hat. Die Zugeständnisse berühren fast schon die Funktionsfähigkeit des neuen Staates. Nach Ansicht der Kosovaren gehen der internationalen Gemeinschaft allmählich die Entschuldigungen für weitere Verzögerungen aus. Die Quintessenz ist: Pristina verlangt nichts weniger als die Unabhängigkeit, und Belgrad verweigert dies. Bedenkt man die Sehnsucht der Kosovaren, von dem Staat befreit zu werden, der sie einst auslöschen wollte, sowie das gänzliche Fehlen jeder realistischen Alternative seitens Belgrads, dann bleibt der internationalen Gemeinschaft kaum eine andere Wahl, als dem Kosovo die Unabhängigkeit zu gewähren.

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