Der Feind sind nicht die Islamisten
Der Feind sind nicht die Islamisten
How Beijing Helped Riyadh and Tehran Reach a Detente
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Commentary / Middle East & North Africa 3 minutes

Der Feind sind nicht die Islamisten

Bundesinnenminister Schily fordert das Verbot einer Islamisten-Konferenz, ohne Veranstalter, Teilnehmer oder Tagesordnung zu kennen, und unfähig, das Gesetz zu benennen, das verletzt würde. Die U.S.A. entziehen einem prominenten islamistischen Gelehrten, im Begriff der Einladung einer renommierten amerikanischen Universität nachzukommen, das bereits erteilte Visum aufgrund vager Verdächtigungen, er gefährde die nationale Sicherheit. Islamismus - ein politischer Aktivismus, der seine Motivation von einer der großen Weltreligionen bezieht und seine Ziele durch sie definiert - versetzt die westliche Welt in Angst und Schrecken.

Gemeinhin mit den grauenvollen Bildern des 11. September 2001 sowie mit Morden an Zivilisten in Madrid und Israel gleich gesetzt, wird der Begriff des Islamismus von zu vielen Politikern als Synonym für Terrorismus benutzt. Man bedient sich folglich polizeilicher Methoden, um ihn auf Distanz zu halten. Dies ist ein Fehler. Die westlichen Bemühungen der Terrorismusbekämpfung leiden unter einer Begriffsverwirrung. Terrorismus ist ebensowenig wie ein Flugzeug oder ein Sprengsatz ein politisches Ziel. Er ist die Taktik derjenigen, deren angestauter Zorn sie treibt, empfundenes Unrecht mit Gewalt zu korrigieren, da sie für herkömmliche Methoden der Auseinandersetzung zu schwach sind.

Law-and-order Reaktionen sind für einen Teil des Problems angemessen, doch wirksame Lösungen erfordern politische Ansätze. Missstände müssen möglichst beseitigt und Prozesse eingeleitet werden, die Hoffnung statt Hoffnungslosigkeit erzeugen, um so das Reservoir, aus dem der gewalttätige harte Kern seine Unterstützung schöpft, zumindest zu verkleinern.

Das mit Abstand potenteste Stimulans für Terrorismus-Sympathien unter Muslimen ist die israelisch-palestinensische Konfrontation. Politische Bemühungen um die Heilung dieser schwärenden Wunde wurden praktisch aufgegeben. Das muss sich nach den U.S.-Wahlen ändern.

Handlungsbedarf besteht auch an zwei anderen Fronten. Die tiefe Armut zu vieler Muslime ist kein sanftes Ruhekissen für den Westen. Ein in Nordafrika tätiger Kollege bemerkte unlängst: "Marokkaner neigen nicht zu Selbstmord-Attentaten. Und doch begehen jeden Monat Dutzende Selbstmord beim Versuch, nach Spanien zu schwimmen.” Ist es wirklich erstaunlich, dass sich in einem von täglichen Leidensexzessen im Heiligen Land geprägten Umfeld ein Teil dieser entwürdigten Unterschicht nihilistischer Gewalttätigkeit zuwendet?

Letztlich aber werden Einstellungen dem Westen gegenüber durch Debatten innerhalb der muslimischen Gesellschaften bestimmt. Viele der Schlüsselfiguren sind in gewissem Maße Islamisten.

Trotz geteilter Erkenntnis, dass eine umfangreiche gesellschaftliche Erneuerung vonnöten ist, gibt es große Unterschiede zwischen apolitischen Fundamentalisten und Dschihadisten sowie zwischen ihnen und selektiv modernistischen politischen Aktivisten wie der ägyptischen Muslim Brotherhood. Der Westen hat nur eine verschwommene Vorstellung von diesen Debatten. Ironischerweise sind ihm die Randgruppen am ehesten geläufig: die relativ wenigen, die sich dem Terrorismus verschrieben haben, und die Befürworter gemäßigter säkulärer Auffassungen, die in seinen Ohren vertraut klingen. Der Westen versucht, den Terroristen mit Gewalt beizukommen und die Säkularisten mit pro-Demokratie Konferenzen und Entwicklungshilfe zu fördern, wie es die Broader Middle East and North Africa Initiative vorschreibt, die von Präsident Bush initiiert und unter Fanfarenstößen im Juni von der Bundesrepublik und anderen G-8 Ländern verkündet wurde. Bedauerlicherweise ist diese wohlmeinende Initiative nicht mit glaubwürdigen Bemühungen um eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses verknüpft. Aller Wahrscheinlichkeit wird sie auch deswegen zur Bedeutungslosigkeit verkümmern, weil sie generell die konkurrierenden Zielsetzungen der größeren Gruppierungen ignoriert, die irgendwo zwischen den beiden Aktivismus-Extremen angesiedelt sind.

Die International Crisis Group, eine Organisation zur Konfliktvermeidung mit Außenstellen in der islamischen Welt, hat Studien zu den verschiedenen Ausprägungen des politischen Islam herausgegeben. Zahlreiche größere Bewegungen lehnen Gewalt ab und haben sich das Vokabular der Demokratie angeeignet. Allerdings ist Vorsicht angebracht. Autokratische Regime haben ihnen wenig Gelegenheit gegeben,  ihre Treue zu demokratischen Prinzipien in der Praxis unter Beweis zu stellen. Beispielsweise könnte die plötzliche Legalisierung einer starken, sich zur Demokratie bekennenden Bewegung wie der Muslim Brotherhood, bevor Ägyptens andere islamistische und nicht-islamistische Parteien ebenfalls eine Anhängerschaft kultivieren können, zu einer ähnlichen Polarisierung mit Bürgerkrieg führen wie in den 1990er Jahren in Algerien.

Es gibt keine kulturellen Gründe, warum arabische Regierungen, die sich durch Bürgerentscheid legitimieren  (Demokratie), nicht gedeihen könnten. Wahrscheinlich aber entwickeln sie sich durch die Anwendung bodenständiger Konzepte auf nationale Gegebenheiten, und nicht durch Nachahmung des Westens.

Quelle eines Großteils der intellektuellen Energien für diese nationalen Experimente wird der Islam sein. Deutsche und Amerikaner sollten die Gelegenheit begrüßen, ihre Repräsentanten kennen zu lernen. Nicht alles, was wir dabei erfahren, wird uns gefallen. Aber wenn Reformen den Nahen Osten erreichen, könnten Islamisten eine größere gestalterische Rolle spielen als Säkularisten. Der Dialog könnte sogar das nützlichste Hilfsmittel sein bei der Einschätzung, wieviel islamistischen Radikalismus wir tolerieren können als Bollwerk gegen immer heftigere Konflikte mit immer radikaleren Doktrinen.

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