Atomabkommen wird nicht an iranischer Innenpolitik scheitern
Atomabkommen wird nicht an iranischer Innenpolitik scheitern
The Middle East Could Still Explode
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Op-Ed / Middle East & North Africa 3 minutes

Atomabkommen wird nicht an iranischer Innenpolitik scheitern

Irans Präsident Ruhani kompromissbereit, der religiöse Führer Khamenei als großer Blockierer – diese Sicht ist falsch. Beide denken ähnlich über ein Atomabkommen.

Die Undurchsichtigkeit der iranischen Innenpolitik hat viele Politiker zu dem irrigen Schluss verleitet, es liege am innenpolitischen Patt zwischen Präsident Hassan Ruhani und Ayatollah Ali Khamenei, dass die Verhandlungen zwischen dem Iran und der P5+1 Gruppe (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China und Deutschland) so schwierig sind. Sie glauben, Ruhani arbeite eifrig auf ein atomares Abkommen hin, werde aber von dem Revolutionsführer zurückgehalten. Khamenei verhindere einen Kompromiss, weil er verbesserte Beziehungen mit dem Westen noch mehr fürchte als Sanktionen und Isolation. Und weil er davon ausgehe, dass Washington ein Abkommen dringender braucht als Teheran.

Tatsächlich aber gibt es keine Beweise dafür, dass sich beide in ihrer Ansicht über ein gutes Abkommen stark unterscheiden. Der Präsident hat versprochen, die iranische Wirtschaft anzukurbeln, und er wird sein Versprechen nur halten können, wenn die Sanktionen gegen den Iran gemildert werden. Das werden sie aber nur im Falle eines atomaren Abkommens. Deshalb stimmt Ruhani wahrscheinlich mit Khamenei überein, dass gar kein Abkommen immer noch besser ist als ein schlechtes Abkommen. Denn ein schlechtes Abkommen mit verzögerten Sanktionserleichterungen würde die iranische Wirtschaft nur minimal entlasten.

Gleich bei seinem Amtsantritt hatte Ruhani erklärt, er wolle nicht die iranische Urananreicherung einschränken, sondern auf Transparenz setzen, um dem Westen seine Bedenken zu nehmen. Schon Monate bevor Khamenei öffentlich die industrielle Urananreicherung zu einem unverrückbaren iranischen Ziel erklärte, hatte Ruhani bereits gesagt, der Iran werde nicht eine einzige Zentrifuge abmontieren.

Das Abkommen, das Ruhani in seiner Zeit als Atomchefunterhändler (2003 bis 2005) unterzeichnet hat, verfolgt ihn bis heute. Aus dem damals versprochenen internationalen Entgegenkommen, das man ihm für konkrete Zugeständnisse versprochen hatte, ist nie etwas Greifbares geworden. Ruhani musste zu Hause bittere Kritik ertragen. Es widerstrebt ihm, ein weiteres Abkommen zu unterzeichnen, mit dem das iranische Atomprogramm zurückgefahren, der Abbau der Sanktionen aber weiter aufgeschoben würde. Stattdessen arbeitet er auf ein Abkommen hin, bei dem die Gegenleistungen parallel und proportional ablaufen – und dazu gehört ein Ende der Sanktionen und nicht nur deren Aussetzung.  

Keine Abkehr von der Diplomatie

Ayatollah Khamenei ist seinerseits ebenfalls gegen ein unausgewogenes Abkommen, weil er fürchtet, dies könnte als Zeichen von Schwäche interpretiert werden, den Eindruck nähren, dass der Iran unter Druck nachgibt, und den Westen ermutigen, Teheran auch in anderen strategischen und regionalen Angelegenheiten zu drangsalieren.

Man sollte das nicht als Abkehr von der Diplomatie verstehen; Khamenei hat seine Unterhändler weit voranschreiten lassen und ihnen innenpolitisch Rückendeckung gegeben. Auch heißt dies nicht, dass es in Irans zweigliedrigem politischem System keine Spannungen gibt. Doch sind die Unterschiede beider Männer oft eher taktischer als strategischer Natur.

So scheint der Präsident zu glauben, eine Deeskalation in den Beziehungen zu den USA könnte die Chancen für ein ausgeglichenes Nuklearabkommen erhöhen, während Khamenei meint, das Abkommen sei erst Voraussetzung für eine Entspannung der Beziehungen. Während der Präsident versucht, zunächst das Rahmenwerk für ein Abkommen zu schaffen und Details später zu diskutieren, glaubt Khamenei, dass beides einhergehen muss.

Dass aber die taktischen Differenzen ein Abkommen verhindern, ist unwahrscheinlich und nicht in Khameneis Interesse, denn es würde ihn als denjenigen dastehen lassen, der den Weg aus der Krise blockiert. Und die politischen Folgen eines jeden Abkommens werden sich vermutlich begrenzen lassen. Als oberster Schiedsrichter über Irans staatliche Angelegenheiten kann Khamenei auch bestimmen, was ein Nuklearabkommen für Irans Außenpolitik bedeuten würde. Er könnte in Bezug auf die Beziehungen zum Westen auf die Bremse treten, indem er eine dominantere Regionalpolitik autorisiert oder Kritik am versöhnlichen Ansatz der Regierung zulässt.

Sicher, ein populäres Abkommen würde Ruhani und seine Verbündeten stärken, nicht zuletzt angesichts der anstehenden Wahlen zum Parlament und zum Expertenrat, dem Gremium, das den Revolutionsführer bestimmt. Aber das iranische Establishment hat genug Einfluss, um seine Interessen zu schützen, etwa durch genaue Prüfung der Kandidaten. 

Viel nationalen Stolz investiert

Schlussendlich glaubt Khamenei auch nicht, dass US-Präsident Barack Obama mehr auf ein Abkommen aus ist als er selbst. Im Gegenteil: Khamenei ist höchst skeptisch, was die Bereitschaft der USA angeht, ein ausgeglichenes Abkommen abzuschließen.  

Natürlich gibt es in Teheran innenpolitische Zwänge, genau wie in Washington. Solange man Iran keine handfesten wirtschaftlichen Anreize bietet, wird es den politischen Führern schwer fallen, Abstriche an einem Atomprogramm zu rechtfertigen, das so viel Blut und Ressourcen gekostet hat und in das man so viel nationalen Stolz investiert hat. In Washington sind die Hindernisse nicht geringer. Durch ein Bündel von Sanktionen hat der Kongress die Arbeit der Unterhändler erschwert und die Hürden für ein akzeptables Abkommen erhöht.

Kurz gesagt, ein mögliches Abkommen wird durch die gestellten Bedingungen behindert, nicht durch die Dynamiken in Irans Innenpolitik. Nötig ist jetzt diplomatische Kreativität, mit der ein glaubwürdiger Weg zu einem Abkommen gefunden wird, bei dem sich alle Seiten als Sieger fühlen können. Dafür muss der Iran seine Pläne für die industrielle Urananreicherung verschieben – vielleicht um ein Jahrzehnt. Die P5+1 Gruppe sollte im Gegenzug einen größeren und rascheren Abbau der Sanktionen anbieten – möglicherweise in Phasen. Damit würde man auf beiden Seiten den Befürwortern eines Abkommens eine solide Basis verschaffen, um der Opposition im eigenen Lager zu begegnen.

This article was translated into German by Nadja Leoni Nolting
 

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